![]() Die Steintafel behauptet auch den Besuch der Königin |
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![]() 1807 in Ostpreußen: Empfang beim Frieden von Tilsit: Napoleon, Alexander I. von Russland, Luise und Friedrich Wilhelm III. |
Wie kam es zu diesem historischen Irrtum? Woher kommt die Legendenbildung?
Beginnen wir von vorne:
1799 war König Friedrich Wilhelm III erst
28 Jahre alt und erst eineinhalb Jahre zuvor gekrönt worden. Königin Luise war sogar erst 23 Jahre alt.
Üblich war, dass der König und seine Gemahlin Huldigungsreisen durch Preußen unternahmen. Im Frühjahr 1799 ging die Fahrt durch Westfalen, das zu der Zeit zwar noch keine preußische Provinz war, aber Lippstadt war seit 1614 zur Hälfte in preußischem Besitz. Lippstadt lag zwei Mal auf der Reiseroute.
Im Mai des Jahres 1799 wurde eine Auflistung nach Lippstadt geschickt, in der das Gefolge des Königs, der Königin und der Königlichen Ökonomie niedergeschrieben worden war. Gut 80 Personen mussten in Lippstadt untergebracht werden. Im Gefolge der Königin Majestät befanden sich die Oberhofmeisterin, eine Hofdame, ein Kammerherr, zwei Kammerdiener, eine Kammerfrau, zwei Garderobenjungfern und zwei Kammerlakeien, teils namentlich genannt.
Man entschloss sich, dass königliche Paar im Gebäude des heutigen Stadtpalais (damals ein Neubau!) unterzubringen; das Gefolge wurde auf angesehene Familien verteilt.
Anschließend galt es, die angemessene Verpflegung sicherzustellen. In diesem Kontext zitiert Carl Laumanns 1914 in den Heimatblättern: „Von Neuhaus und Schwarzenraben werden wir [der Magistrat; Anmerkung RMF] gelbe Wurzeln und Kopfsalat und von Münster vielleicht Erbsen und Blumenkohl erhalten.“ Laumanns (1881-1960) leitet daraus ab, dass das Leben bzw. die Ernährung der Lippstädter am Ende des 18. Jahrhunderts sehr einfach und spartanisch gewesen sein müsse.
Der königliche Besuch in Lippstadt sollte für die Lippstädter wohl der Höhepunkt des Jahres 1799 werden – was vielleicht auch trotz allem gelang. Die Lippstädter werden diesem Ereignis entgegengefiebert haben, denn sie werden – wie das ganze preußische Volk – von den Erzählungen über Luises Schönheit und Anmut ebenso begeistert gewesen sein, wie sie von den Schilderungen des Königinnen-Charisma in den Bann gezogen worden waren.
Luise, die Königin der Herzen, wie der Dichter August Wilhelm Schlegel sie nannte, kommt nach Lippstadt! Vorfreude und Vorbereitungen werden sich vielleicht die Waage gehalten haben. Der in ganz Preußen vorherrschende Luisenkult lässt vermuten, dass sich die Lippstädter mindestens so sehr – wenn nicht gar mehr! – auf ihre Königin als auf den König gefreut haben.
Umso größer mag die Enttäuschung gewesen sein als sich herumsprach, dass die Königin Lippstadt nicht besuchen würde. Bürgermeister Schmitz wünschte Klarheit, ob es sich dabei um ein Gerücht oder um eine Tatsache handelt und erkundigte sich. Und tatsächlich, Königin Luise würde nicht nach Lippstadt reisen.
Am 3. Juni 1799 kam König Friedrich Wilhelm III mit Gefolge (aber ohne seine Gemahlin) von Minden nach Lippstadt. Auf dem Markt (heute Rathausplatz) wurden die Pferde umgespannt und man fuhr – wohl nach einer kurzen Pause – weiter nach Wesel. Während des Aufenthaltes scheint es zu „Ausschreitungen“ gekommen zu sein, denn Anstand und Ordnung wären verletzt worden, zitiert Laumanns ein Schreiben des damaligen Bürgermeisters, der sich über das Verhalten der Lippstädter beschwerte: „[…] Hausväter und Hausmütter, mehr aber noch Kinder, Handwerksgesellen und Gesinde in schmutziger Alltags-Kleidung […]“ hätten auf dem Markt ungestüm gedrängt. Daher hätte der Magistrat der Stadt verordnet, „daß Jeder, der den vielgeliebten Monarchen auf öffentlicher Straße und auf dem Markte sehen will, in reinlichen Sonntagskleidern erscheine, dass niemand dem königlichen Wagen vor- oder nachlaufe, sich die Lippstädter an den Fenstern still und ehrfürchtig verhalten und wenn der Monarch zu Bett gehe, sich alle vom Markt zu entfernen hätten.
Am 7. Juni kam seine Majestät von Minden zurück, verbrachte die wohl ruhige Nacht im Gebäude des heutigen Stadtpalais und fuhr am 8. Juni 1799 weiter nach Kassel. Das Verhalten der Lippstädter scheint tadellos gewesen sein; alles verlief nach Plan, außer dass sich die Reiseroute der Königin geändert hatte.
1914 schreibt Carl Laumanns in den Heimatblättern über König Friedrich Wilhelm III in Lippstadt und erwähnt explizit, dass die Königin ihren Gemahl nicht begleitet hat, und trotzdem glaubt heute jeder in Lippstadt zu wissen, dass Königin Luise in Lippstadt war.
Und dafür gibt es nur einen Grund:
1956 wurde auf Initiative des Lippstädter Heimatbunds eine Gedenktafel am Stadtpalais angebracht.
In goldenen Lettern ist dort zu lesen: In diesem Hause wohnten König Friedrich Wilhelm III und Königin Luise 1799.
Wie kommt es zu einer solchen Legendenbildung? Interessant wäre das Protokoll der Sitzung des Heimatbundes, auf der sowohl die Tafel selbst als auch ihr Wortlaut besprochen und beschlossen wurde. Doch der Heimatbund besitzt leider keine Unterlagen aus der Zeit, sodass nicht ermittelt werden kann, welche Überlegung den Heimatbund veranlasste, die Tafel mit diesem Wortlaut zu stiften.
Der Ursprung des historischen Irrtums ist wohl das unglückliche Zusammenspiel von missverständlichen Formulierungen, dem Luisenkult an sich und dem berühmten Wunsch als Vater des Gedankens: Wäre Königin Luise von Preußen doch in Lippstadt gewesen …
Ja, es wäre auch wirklich schön, nach wie vor auf dem Rathausplatz mit einem Eis oder einer Tasse Kaffee sitzen zu können und sich vorzustellen, dass die junge Königin Luise von Preußen in dem wunderschönen klassizistischen Gebäude übernachtet hat. Und wer genügend Fantasie besitzt, kann sich den Besuch der Königin in den royalsten Farben ausmalen …
Doch es bleibt die Tatsache, dass Königin Luise nie in Lippstadt war. Zu hoffen ist, dass die Lippstädter einen ehrlichen Weg finden, die heutige Erinnerung an Königin Luise in Einklang mit den realen Ereignissen des Jahres 1799 zu bringen. – Denn: Lippstadt ist auch ohne Königin Luises Glanz eine wunderschöne Stadt.
Eine detaillierte Rekonstruktion der Odyssee der besagten Gedenktafel und eine Schilderung dessen, was Königin Luise wirklich im Mai 1799 tat
und wie sie dadurch quasi die deutsche Literaturgeschichte beeinflusste, lesen im ausführlichen Original-Beitrag.
Sämtliche Quellenangaben finden sich am Ende des Original-Beitrags in den Heimatblättern!
Aus: Rita Maria Fust: Die Legende von „Luise in Lippstadt“ – Und wo Königin Luise von Preußen wirklich war … In: Heimatblätter Lippstadt 2014. Seite 81 - 85.
Lese-Tipp: Die Legende von Luise in Lippstadt findet sich ebenfalls wieder in dem historischen Roman: ↗„Die Gunst der Königin“ von Rita Maria Fust, Gmeiner-Verlag 2016.