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Symbolbild von einer Kutsche vor einem Gasthaus
Einkehr in einen Gasthof (Symbolbild)


Casanova in Lippstadt, 1764

Deutsche und englische Wörter­bücher be­schrei­ben einen "Casanova" als einen Mann, der erfolg­reich darin ist, Frauen zu ver­füh­ren. Ein Frauen­held.
Vielleicht hat­ten Sie sich noch keine Ge­dan­ken darü­ber ge­macht, woher die­ser Be­griff stammt. Dann ist es viel­leicht ein Aha-Moment, wenn man er­fährt, dass es wirk­lich einen Typen mit die­sem Namen gab, einen Venezia­ner, der ein Frauen­held war - und mit sei­nem Nach­namen die­sen Be­griff inter­natio­nal prägte.
Und als Lippstädter ist es wohl ein "Ach was?!"-Moment, wenn man hört, dass eben jener histo­rische Herr Casanova mal leib­haftig im klei­nen Lipp­stadt zu Gast war.

Aber um es vorweg zu nehmen: Er war nur kurz für eine Mahl­zeit in Lipp­stadt. Und seine weib­liche Be­glei­tung brachte er mit. Es gibt keine interes­san­ten oder schmut­zi­gen Liebes­geschich­ten mit Lipp­städ­terin­nen, die ihm ver­fal­len waren. Also kein Casanova-Skandal im be­schau­lichen Lipp­stadt. Schade eigent­lich.

Wer trotzdem über seine turbu­lente Ge­schichte lesen möchte, hat hier meine Zusam­men­fas­sung sei­nes Lebens­laufs, mit Lipp­stadt irgendwo mitten­drin ...

Giacomo Casanova wurde 1725 in Venedig ge­bo­ren, als ältes­tes Kind von sechs Ge­schwis­tern. Wegen sei­nes unstill­baren Nasen­blutens war er dem Tod stets so nahe, dass er angeb­lich spä­ter den Tod nicht mehr fürch­tete - was als ein Grund für seine Lebens­freude ange­geben wird.

Er studierte Jura und er­langte den Doktor­titel im welt­lichen Recht und kirch­lichem Recht. Auf Bitten seiner Oma wurde er Priester. Und er traf sogar Papst Benedikt XIV. in Rom, der ihm als Dank für amü­sante Plaude­reien er­laubte, ver­bo­tene Bücher zu lesen. Doch wegen einer Liebes­affäre musste Casa­nova Rom wie­der ver­las­sen.

Im Alter von 30 Jah­ren wurde Casa­nova wegen angeb­li­cher „Schmähungen gegen die hei­lige Reli­gion“ in seiner Heimat­stadt Vene­dig ver­haf­tet. Inner­halb von 15 Mo­na­ten unter­nahm Casa­nova zwei Flucht­versuche aus dem Gefäng­nis, wo­bei ihm der zweite spekta­ku­lär ge­lang. Er flüch­tete über München nach Paris. Durch seine spekta­ku­läre Flucht wurde Casa­nova inner­halb weni­ger Jahre zu einer Be­rühmt­heit in Europa.

In Frankreich war Casanova 1757 ein Mit­begrün­der der National-Lotterie. 1760 be­suchte er Voltaire in Genf, mit dem er über Litera­tur par­lierte. Casanova war litera­risch und wissen­schaft­lich auf der Höhe sei­ner Zeit, so wie es die Kon­ver­sa­tion in der Epoche der Auf­klä­rung ver­langte.

Um selbst berühmt zu werden, suchte er stets die Nähe von be­rühm­ten Persön­lich­kei­ten. Die Frei­heit, die Casa­nova als höchs­ten Wert für sich rekla­mierte - dabei immer auf der Suche nach einem gro­ßen Ver­mö­gen und einem Renommee von euro­pä­ischem Rang - waren An­trieb sei­ner tur­bu­len­ten Exis­tenz.

Casanova war nie verhei­ratet, soll über 100 Ge­liebte ge­habt haben und eine unbe­stimmte Zahl eige­ner Kinder, von denen er nur teil­weise Kennt­nis er­hielt. Nicht un­erwähnt soll blei­ben, dass Casa­nova spiel­süch­tig war und immer Schul­den hatte.
Bei einem Auf­ent­halt in Eng­land ver­liebte er sich unsterb­lich in eine 18-Jäh­rige, kam aber nicht zum Ziel, was ihn fast in den Selbst­mord trieb.

Aus England reiste Casanova 1764 über Brüssel nach Wesel und wei­ter nach Braun­schweig. Der Weg zwi­schen Wesel und Braun­schweig führte da­mals über Lippstadt!
Aus Casanovas Memoiren geht her­vor, dass er und seine Be­glei­tung, ein jun­ges Mäd­chen namens Redegonda, die ganze Nacht im gräß­lich unbe­quemen Post­karren durch­fuhren und erst in aller Frühe in Lippstadt an­kamen, wo Casanova "trotz der unpas­sen­den Stunde eine Mahl­zeit auf­tra­gen ließ". Leider be­rich­tet Casa­nova in sei­nen Memoi­ren nicht, an wel­chem Datum sie in Lipp­stadt waren und in wel­chem Gast­hof sie hier aßen. Und das war's schon.

Die nächste Station war Minden, wo Casa­nova über Redegonda schreibt: "... und gingen dann wie Mann und Frau zu Bett. Wir waren fünf Stun­den zu­sam­men. Sie war voll­kom­men gut und ließ sich nur der Form wegen ein biß­chen bitten."

Im Sommer 1764 kam Casanova nach Schloss Sans­souci, wo er beim preu­ßi­schen König Fried­rich dem Großen um eine An­stel­lung bat. Die ange­bo­tene Posi­tion als Lehrer an einer Land­schule lehnte er je­doch ab und reiste statt­des­sen nach Russ­land. Er lebte dann 9 Mo­nate in Sankt Peters­burg und traf zwei­mal Kaise­rin Katha­rina die Große, mit der er über die Vor­züge eines neuen Kalen­ders de­bat­tierte.

In Polen duellierte er sich 1766 mit einem Grafen, nach­dem die bei­den beim Wer­ben um eine Sänge­rin in Streit ge­raten waren. Bei dem Pistolen­duell wur­den beide schwer ver­wundet.
Auf einer weiteren Reise über Frank­reich nach Spa­nien, hatte er in Barce­lona eine Affäre mit der Ge­lieb­ten des Gouver­neurs. Casanova saß in die­sem Jahr auch zwei­mal kurz im Ge­fäng­nis, ein­mal wegen un­erlaub­ten Waffen­besitzes und ein­mal wegen der Tötung eines An­grei­fers.
In den folgenden 12 Jah­ren schrieb Casa­nova zahl­reiche Bände über die Ge­schichte Venedigs, des Troja­ni­schen Kriegs, sowie ein von ihm kom­men­tier­tes Ver­zeich­nis ver­bo­te­ner Bücher.

1784 traf Casanova in Wien den Grafen Joseph Karl von Wald­stein, der ihm das An­ge­bot machte als Biblio­the­kar auf Schloss Dux zu ar­bei­ten (heute Tsche­chien, damals deutsch­sprachig). Dort ver­brachte Casa­nova die letz­ten 13 Jah­re sei­nes Lebens und schrieb seine "Geschichte meiner Flucht aus den Gefäng­nis­sen der Repu­blik von Venedig, die man die Blei­kammern nennt" - nicht auf itali­enisch, son­dern auf franzö­sisch, weil das da­mals als modern galt. Das Buch er­schien erst­mals 1788 in Leipzig.

Desweiteren schrieb er einen uto­pischen Roman sowie seine Memoi­ren "Geschichte mei­nes Lebens" auf 1.800 Doppel­seiten (10 oder 12 Bände). Die Memoi­ren wur­den je­doch nicht ver­öffent­licht, weil sie zu frei­zügig waren. Besitzer die­ses Werks wurde Brockhaus in Leipzig, der es 1821 von einem Nef­fen Casa­novas er­warb. Auszüge aus den Memoi­ren, ins­beson­dere über die sexu­el­len Frei­hei­ten, wur­den nur als Raub­drucke unterm Laden­tisch ver­kauft, bis ins 20. Jahr­hun­dert.

2011 verkaufte Brockhaus die franzö­sisch­sprachi­gen Ori­gi­nal-Memoi­ren auf 3.700 Sei­ten für 7,5 Mil­li­onen Euro an die franzö­si­sche National­biblio­thek - der höchste Preis, der je für ein Manus­kript ge­zahlt wurde.

Übrigens, 2009, beim 9. Lippstäd­ter Wort­festi­val, las der Schau­spieler Sky Du Mont im Lipp­städ­ter Stadt­theater aus den amü­san­ten Memoi­ren Casa­novas vor. Aller­dings weiß ich nicht, ob dabei zur Sprache kam, dass Casa­nova auch mal in Lipp­stadt war.

Und die Autorin Rita Maria Fust ver­öffent­lichte eine Kurz­geschichte, die im Lipp­stadt des Jah­res 1764 spielt, in der ein Schuster alles dran­setzen muss, um den guten Ruf seiner Tochter zu wah­ren, als Casa­nova in Lipp­stadt auf­taucht: ↗„Engerlings Nacht“.
 
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