![]() Kammergericht des Heiligen Römischen Reichs |
1575: Lippstädter Bürgermeister überfällt Weckinghausen
Am 30. Juni 1575 zogen rund 100 bewaffnete Lippstädter ins Nachbardorf Weckinghausen, um dort den Richter von Erwitte zu züchtigen. Anscheinend waren die Lippstädter wegen seiner Richtersprüche aufgebracht.
300 Jahre später vermutete der Lippstädter Geschichtsschreiber Dr. Robert Chalybäus in seinem Buch von 1876, dass es bei der Sache von 1575 wahrscheinlich um Grenzstreitigkeiten ging. Oft gab es damals Streit um die Hudegerechtigkeit, d.h. wer wieviel Vieh zum Weiden in den Wald treiben darf. So wurde z.B. zugeteilt, wer im Herbst welche Anzahl an Schweinen zur Eichelmast in den Wald treibt, wo sie sich an Eicheln, Bucheckern und Kastanien sattfressen konnten.
Einen anderen Grund nennen allerdings alte Gerichtsakten, verzeichnet im Online-Archiv von NRW (was der spätere Geschichtsschreiber Chalybäus vor 150 Jahren noch nicht googeln konnte) ...
Im NRW-Archiv steht, dass die Lippstädter und Erwitter schon wegen eines Mordfalls und der gerichtlichen Zuständigkeit Streit hatten. Grundsätzlich war die Nachbarschaft auch dadurch belastet, dass Lippstadt zu dem Zeitpunkt seit 40 Jahren evangelisch war (Grafschaft Lippe), hingegen war das ganze Umland inkl. Erwitte katholisch (Kurfürstentum Köln).
Im Speziellen warfen die Lippstädter den Erwittern Unrechtshandlungen vor, denn der Erwitter Gaugraf Johann Droste habe Lippstadts Landwehr (Stadtbefestigung) überfallen, zwei Lippstädter Bürger verhaftet und diese zunächst nach Erwitte, dann nach Arnsberg gebracht.
Was auch immer die genauen Ursachen waren, zumindest müssen die Lippstädter wohl sehr erbost gewesen sein, dass sich etwa 100 Mann mit Büchsen und sonstigem Gewehr (z.B. Knüppel oder Messern) ausrüsteten und mit dem Lippstädter Bürgermeister Ludwig Geissel nach Weckinghausen zogen.
Dort im Wirtshaus von Johann Fischer vermuteten sie den Erwitter Richter Nikolaus Stromberger anzutreffen, der dort Recht sprechen wollte. Möglicherweise wollte er einen Lippstädter verurteilen oder umgekehrt ein Lippstädter Urteil gegen einen Erwitter aufheben.
Die bewaffneten Lippstädter fanden in dem Gasthaus aber entweder nicht den Richter oder nicht den von den Lippstädtern verurteilten Mann. Deshalb demolierten sie das Gasthaus: Glasfenster und Schubladen in den Stuben und im Keller wurden zerschlagen. Hausbewohner wurden arg mißhandelt.
Zu dem Geschehen eilte der Anröchter Richter Jörgen Simonis herbei, der dann von den Lippstädtern festgenommen wurde und zusammen mit "einer Anzahl kurkölnischer Unterthanen" als Gefangene nach Lippstadt gebracht wurden.
Wie die Sache innerhalb Lippstadts weiterging, ist leider nicht überliefert.
Nach dem Vorfall klagten die Betroffenen bei ihrem Kurfürsten in Köln, der dann Klage gegen den Lippstädter Bürgermeister und Konsorten (namentlich genannte Bürger) vor dem kaiserlichen Gericht erhob.
So mussten die Lippstädter zehn Monate nach dem Überfall, am 10. Mai 1576, vor dem kaiserlichen Gericht in Speyer (Pfalz) erscheinen. Das Kammergericht war das oberste Gericht des Heiligen Römischen Reichs. Wären sie der Vorladung nicht gefolgt, hätte ihnen die Reichsacht gedroht (Ächtung, vogelfrei).
Die Lippstädter wurden wegen Landfriedensbruch verurteilt und mussten eine Pön (Strafe) von 12 Mark löthigen Geldes (gültigen Bargelds) bezahlen, außerdem binnen 14 Tagen die in Weckinghausen angerichteten Zerstörungen auf Selbstkosten erneuern und jeden anderen Schaden erstatten.
Quellen:
- Heimatblätter 1981, Folge 15, bezieht sich auf Chalybäus
- NRW-Archiv, online abgerufen 29.08.2018, Seitenadresse nicht mehr gültig.