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Bürgermeister Bertram holte 1850 die Eisenbahn nach Lippstadt


Gegensätzliches Städtewachstum am Beispiel von Soest, Lippstadt und Gütersloh

Mit Stand von 2015 hatte Soest unge­fähr 48.000 Ein­woh­ner, Lippstadt 67.000 und Güters­loh 97.000 Ein­woh­ner (je­weils inkl. Orts­teilen). Würde man immer ein gleich­mäßi­ges Be­völke­rungs­wachstum an­neh­men, könnte man ver­mu­ten, dass sich die­ses Größen­ver­hält­nis auch schon frü­her ab­zeich­nete, z.B. im Mittel­alter. Aber ein Blick auf die Einwoh­ner­zahlen aus dem Mittel­alter offen­bart eine Über­raschung ...

Während Lippstadt im späten Mittel­alter rela­tiv kons­tant um 2.500 Ein­woh­ner hatte (nur Kern­stadt), hatte die wich­tige Hanse­stadt Soest am Hell­weg (Handels­weg zwi­schen Rhein und Weser) zwischen 8.000 und 10.000 Ein­woh­ner - und war damit die größte Stadt in Westfalen und eine der größ­ten deut­schen Städte.

Größere deutsche Städte waren nur die, die schon in der Antike von den Römern ge­grün­det wor­den waren, wie z.B. Köln als größte Stadt im Heili­gen Römi­schen Reich, die im Zeit­raum von 1430 bis 1807 immer rund 40.000 Ein­woh­ner hatte.

Zum Schmunzeln ist hingegen die frühere Ein­wohner­zahl von Güters­loh: Im Jahr 1532 zählte man 29 Ein­woh­ner im Dorf Güters­loh, das zur Herr­schaft Rheda ge­hörte. Der Name von Güters­loh lei­tet sich von Gunter's Loh ab, d.h. eine ge­rodete Fläche, die einem Mann namens Gunter ge­hörte. Erst als das Dorf lang­sam auf 2.000 Ein­woh­ner an­ge­wach­sen war, be­kam es 1825 die Stadt­rechte ver­liehen.

Zu dem Zeit­punkt waren Soest und Lipp­stadt schon zu Kreis­städten er­nannt wor­den. Lipp­stadt hat sein Stadt­recht 600 Jah­re vor Güters­loh er­hal­ten, und Soest mit seiner ältes­ten west­fäli­schen Stadt­ver­fas­sung so­wieso (Jahr un­be­kannt).

Nun fragt man sich, wie es passieren konnte, dass die mittel­alter­liche Groß­stadt Soest eine kleine Stadt blieb, und wieso das ehe­malige Dörf­chen auf Gunters Loh heute an der Schwelle zur Groß­stadt steht ...

Die Soester feiern noch heute, dass sie sich hinter ihrer Stadt­mauer er­folg­reich gegen die An­griffe des Erz­bischofs von Köln weh­ren konn­ten (Soester Fehde 1444-1449) und dass Soest un­ab­hängig blieb. Das klingt erst mal gut, aber ihr Sieg war die Ur­sache für das Ende der großen Stadt Soest. Dem Erz­bischof von Köln gelang es näm­lich alle Gebiete rund um Soest für sich zu ge­win­nen, ent­weder durch Zukauf oder krie­ge­risch, und somit war das freie Soest plötz­lich von feind­li­chem Gebiet um­geben. Soests Handels­wege wurde ab­ge­schnit­ten (Zölle?) und damit ver­lor Soest seine Be­deu­tung.

Seinen letzten regiona­len Hanse­tag konnte Soest (u.a. mit Lipp­stadt) zu­letzt 1604 ver­an­stal­ten. Am letz­ten über­regio­nalen Hanse­tag von 1669 in Lübeck nahm Soest be­reits nicht mehr teil. Den Tief­punkt des Nieder­gangs er­lebte Soest 1756 als es nur noch 3.600 Be­woh­ner zählte.

Ab 1840 entstanden Eisenbahn­strecken, z.B. von Duis­burg über Hamm nach Hannover, ver­gleich­bar dem Ver­lauf der heu­tigen Auto­bahn A2. Und am 1. Oktober 1850 wurde die Strecke Hamm-Paderborn ein­ge­weiht. Ihr Ver­lauf über Soest nach Pader­born war ur­sprüng­lich ent­lang des alten Hell­wegs ge­plant, d.h. über Erwitte. Lipp­stadt hätte kein Gleis be­kom­men.

Aber Lippstadts damaliger Bürger­meister Friedrich Bertram (Amts­zeit 1830-1850) setzte sich dafür ein, dass die gerad­linig ge­plante Bahn­strecke in einem extra Bogen um Erwitte herum ge­baut wurde - und somit Lipp­stadt statt Erwitte einen Bahn­hof be­kam. Pech für Erwitte, großes Glück für Lipp­stadt. Und dank der Lipp­städter WLE ent­wi­ckelte sich die Stadt ab 1883 zu einem Eisen­bahn­stern.

In Soest schuf der Güter­bahn­hof bis zu 2.000 Arbeits­plätze, jedoch sie­delte sich in Soest kaum Indus­trie an. Anders in Lipp­stadt: Die West­fälische Union (Draht­walz­werk) konnte sich hier nur auf­grund des Eisen­bahn­anschlus­ses an­sie­deln und wurde Lipp­stadts größ­ter Arbeit­geber. Durch die ent­stehen­den Arbeits­plätze zogen immer mehr Leute von außer­halb nach Lipp­stadt. Inner­halb von 30 Jahren ver­dop­pelte sich die Ein­wohner­zahl bis zum Jahr 1885 auf 11.500 Ein­woh­ner.

Auch die anderen Metall­indus­trien wie die WMI (Hella) und die Preußi­sche Artil­lerie-Werk­statt (wo heute Rothe Erde ist) ent­wickel­ten sich dank des Eisen­bahn­an­schlus­ses. In weite­ren 50 Jah­ren ver­dop­pelte sich Lipp­stadts Ein­woh­ner­zahl aber­mals, auf 23.400 Ein­woh­ner im Jahr 1939.

1905 hatte das kleine Gütersloh erst halb so­viele Ein­wohner wie Lipp­stadt. Wegen unter­schied­licher Ein­ge­mein­dun­gen (GT 1910, LP 1975) sind neuere Zahlen erst nach 1975 wie­der ver­gleich­bar. 1975 hatte Güters­loh dann be­reits 10.000 Ein­woh­ner mehr als Lipp­stadt (je­weils mit Orts­teilen).

Die Erklärung für das rasante Wachs­tum Güters­lohs dürfte eben­falls wirt­schaftliche Ur­sachen haben. 1907 hat Miele seinen Sitz von Herze­brock nach Güters­loh ver­legt. Und ab 1950 be­gann der ehemals reli­giöse Verlag Bertels­mann mit seinem „Bertels­mann Club“ erfolg­reich zu wer­den. Aktuell be­schäftigt Bertels­mann als nun welt­größter Verlag („Random House“) etwa 10.700 Arbeit­nehmer in Güters­loh, und bei Miele ar­beiten etwa 5.500 Be­schäf­tigte in Güters­loh. Beide Unter­nehmen sind die größ­ten priva­ten Arbeit­geber in Ost­westfalen-Lippe.

Auch wenn uns in Lippstadt die histo­rische Ent­wicklung der Nachbarn Soest und Gütersloh viel­leicht nicht wichtig ist, so finde ich es trotz­dem sehr span­nend, welche star­ken Ein­flüsse die Wirt­schaft auf die ein­zel­nen Städte hat - und dass die Ent­wick­lung der beiden Bei­spiele Soest und Güters­loh der­art gegen­sätz­lich ver­lief. Gut für Lippstadt, dass sich Bürger­meister Bertram damals mit unse­rem Bahn­hof noch durch­setzen konnte. Viel­leicht wäre sonst Lipp­stadt heute so klein wie Erwitte - und Erwitte so groß wie Lipp­stadt, wer weiß?!

Text: Jörg Rosenthal
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