Die Urkunde enthält leider kein Datum. Schon vor Jahrhunderten gab es Diskussionen darüber, aus welchem Jahr die Stadtrechtsurkunde genau stammen könnte, ebenso wie über das Gründungsjahr der „Stadt zur Lippe“ diskutiert wurde.
1785 veröffentlichte der Lippstädter Bürgermeister Möller, der auch Geschichtsschreiber war, die „Alten Nachrichten von Lippstadt“, worin
er sich auf das Gründungsjahr 1185 festlegte und für die Stadtrechtsurkunde das Jahr 1196 nennt.
Andere nennen für die Urkunde das Jahr 1220, also die Zeit, als die Marienkirche von Bernhard II. geweiht wurde.
Eine spätere Urkunde von Bernhard III., die eine Ergänzung zum Lippstädter Stadtrecht enthält, ist genau datiert:
„Gegeben im Jahre Christi 1244 den 23sten December“.
Erstlich. Über alles Blutvergießen außer des Krieges wollen weder Wir noch unsre Nachkommen zu urteilen haben sondern dies Recht soll den Bürgermeistern zukommen, so, daß aller daraus entspringender Vorteil auf die Befestigung des Ortes verwendet wird.
Zweitens. Wenn Becker, Bauern u.s.w. sich eines unrechten Maßes oder Gewichtes bedienen, sollen die Bürgermeister dies untersuchen und darüber richten.
Drittens. Kein Bürger soll den andern außerhalb der Stadt gerichtlich belangen, wenn dies nicht von Rechtswegen erkannt ist, auch nicht vor gefällter Sentenz den strafenden Arm der Gerechtigkeit auffordern.
Viertens. Wenn ein Bürger den andern tötet und über den Mord ertappt wird, soll er nach den Gesetzen gerichtet; hingegen sollen sein Haus und seine andere Güter nicht konfisziert werden, sondern den Erben bleiben.
Fünftens. Keiner kann 2 Tage vor und nach dem jährlichen Gerichtstage gerichtlich belangt werden, wenn nicht eine schnelle Untersuchung erforderlich ist, oder ein aus der Stadt verbannter ertappt wird. Eben so wird am Sonntag, Dienstag und Freitag kein Gerichtstag gehalten.
Sechstens. Wenn einem Bürger in der Stadt etwas gestohlen worden ist, und dies hernach wieder erhalten wird, soll dem Richter in der Stadt nicht davon abgegeben werden.
Siebentens. Wenn sich jemand in der Stadt Jahr und Tag aufhält, und binnen der Zeit keiner ihm etwas aufbürden kann, nach derselben ihm aber jemand irgendetwas zur Last legt, kann derselbe sich von den Beschuldigungen mit Vorbehalt des rechtlichen Verfahrens lossagen.
Achtens. Weder Wir noch unsre Nachkommen, wollen ohne allgemeine Einwilligung irgendeine Verordnung machen. Ebenso aber auch weder die Bürgermeister noch Richter ohne Unsre, Unsrer Nachfolger und der Bürger Einwilligung irgendetwas festsetzen.
Neuntens. Von dem am nördlichen Ende der Stadt in unsern Besitzungen gelegenen und abgetretenen Holzungen und Weiden, können alle Bürger zur rechten Zeit den Nießbrauch haben.
Zehntens. Wenn ein Bürger den andern im Bauen oder Zuschlag machen, stört, sollen die ihn dem Hoven der Stadt bestellten Richter die Sache untersuchen, übersteigt es aber ihre Kräfte, den Bürgermeistern dieselbe vorstellen; und diese sollen ein Urteil darüber fällen.
Elftens. Wenn ein Bürger stirbt, und in der Stadt keine Erben hat, so sollen die Bürgermeister das ganze Vermögen, es sei viel oder wenig, in Empfang nehmen, und meldet sich binnen Jahr und Tag, kein, nach den Gesetzen legitimierter Erbe, dasselbe Uns oder Unsern Nachfahren übergeben.
Zwölftens. Wenn ein Bürger jemanden in einen strafbaren vertrauten Umgange mit seiner Tochter, Schwester oder einen andern ihm im 3ten Grade der Blutsverwandtschaft verwandte Person antrifft, soll er dieselbe mit ihm auf eine ehrenvolle Art verloben. Wenn derselbe aber keineswegs sich mit ihr in ein Eheversprechen einlassen will, soll er ihr dafür, daß er sie entehrt, und ihr ein künftiges gutes Ehebündnis erschwert hat, 10 Mark bezahlen.
Dreizehntes. Allen Ankömmlingen sowohl als wirklichen Einwohnern der Stadt wird Zollfreiheit zugestanden.
Vierzehntes. Wenn ein Bürger bei dem Richter für 4 Goldgulden Bürgschaft geleistet hat, soll er demselben 2 Denarien geben, 6 aber, wenn es in Gegenwart von Zeugen geschieht. Mehr zu nehmen ist in Absicht des Richters wiederrechtlich.
Fünfzehntes. Kein Bürger soll von Uns oder einem der unsre Stelle vertritt außerhalb der Stadt zur Verantwortung gezogen oder auf irgendeine andere Art beeinträchtigt werden.
Sechzehntens. Weder von Uns noch Unsern Nachfolgern soll der Stadt, ohne Einwilligung der Bürgermeister und Bürger, ein Richter gesetzt, auch dieselbe nicht mit einem, so genannten Schutzvogteigericht belastigt werden.
Diese Statuten haben Wir mit dem Siegel Unsers Sohnes Hermann unterzeichnet, dem Wir nämlich das ganze Regierungsgeschäft übertragen haben, als Wir mit Bewilligung Unsrer Gemalin Hedwig um Gott zu dienen nach Liefland gereist sind.Die früheren germanischen Stämme hatten kein eigenes Schriftsystem und man war es gewohnt, dass Sitten und Vereinbarungen mündlich überliefert wurden. Und wenn ab dem Hochmittelalter etwas aufgeschrieben wurde, nahm man nicht nur lateinische Buchstaben, sondern auch gleich die lateinische Sprache, so wie die Gelehrten es von kirchlichen Texten gewohnt waren.
Sogar noch Jahrhunderte später, als 1817 der Kreis Lippstadt eingerichtet wurde, sollte der Landrat sich „vor unnützen Schreibereien hüten und den Geschäftsverkehr soviel als möglich mündlich betreiben“. In der heutigen Bürokratie ist das unvorstellbar.
Der Inhalt des Stadtrechts erinnert an das heutige Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) - und das ist kein Zufall, denn das BGB (ab 1900) ist quasi ein Nachfahre des germanischen Gewohnheitsrechts.
Zu der Zeit als die Lippstädter ihr Stadtrecht bekamen, entstand in Ostfalen gerade
der Sachsenspiegel, das erste deutsche Rechtsbuch von 1220-1235.
Die Leistung des Autors Eike von Repgow lag darin, die unterschiedlichen regionalen Gewohnheitsrechte zu erkunden, sie zu systematisieren, zu vereinheitlichen und aufzuschreiben - sogar auf deutsch (niederdeutsch).
Dahingegen ist das Lippstädter Stadtrecht kein Rechtsbuch, sondern listet nur die Ausnahmen auf, die innerhalb der Stadt anders gehandhabt werden als es außerhalb einer Stadt üblich war.
Wie in der Einleitung der Urkunde steht, hat man für Lippstadt das Soester Stadtrecht als Vorlage genommen. Und die Bürger haben sich Paragraphen ausgesucht, die ihnen gut zu sein schienen. Das klingt ziemlich cool und ist vielleicht dem Umstand geschuldet, dass Lippstadt die erste Stadt der Herren zur Lippe war und dass es noch kein Stadtrecht von der Stange gab. Denn das Soester Stadtrecht aus dem frühen 12. Jahrhundert ist das erste im deutschen Raum nachweislich aufgezeichnete Stadtrecht. Insgesamt war das Soester Stadtrecht Vorbild für 65 Städte im norddeutschen Raum, u.a. wegen der Hanse (Soester Stadtrechtskreis, siehe Landkarte unten). Das Lippstädter Stadtrecht wiederum diente als Vorlage z.B. für Hamm sowie für weitere Lippische Städte.