Die Reformation in Lippstadt
Martin Luther wurde 1483 in Eisleben (Sachsen-Anhalt) geboren.
Nach seinem Studium in Erfurt trat er dort im Alter von 21 Jahren in das Kloster der Augustiner-Eremiten ein, wo er zwei Jahre später zum Priester geweiht wurde.
Die Augustiner-Eremiten unterhielten auch ein Kloster in Lippstadt, neben der Brüderkirche (wo heute die Schule im Grünen Winkel steht),
wo Luther möglicherweise 1516 zu Besuch war - also ein Jahr bevor er seine 95 Thesen an die Kirchentür in Wittenberg genagelt haben soll.
Drei Jahre nach dem Thesenaushang schickten die Lippstädter Augustiner-Eremiten ihre Mönche Johann[es] Westermann und Herrmann Koiten
zum Studieren an die Universität Wittenberg (von 1520 und 1524), wo Luther als Professor Vorlesungen über die Bibel hielt.
Während der Studienzeit unserer Mönche fand in Wittenberg der allererste Gottesdienst in deutscher Sprache statt, zu Weihnachten am 25. Dezember 1521.
In diesem Jahr übersetzte Luther zunächst das Neue Testament ins Deutsche, das 1522 gedruckt erschien.
Im folgenden Jahr begann er auch teilweise eine Übersetzung des Alten Testaments.
Durch den Buchdruck besaß bereits nach drei Jahren rund ein Drittel aller lesekundigen Deutschen eine seiner Übersetzungen.
Aus Luthers ostmitteldeutschem Dialekt aus Eisleben entwickelte sich durch die Verbreitung seiner deutschen Texte die hochdeutsche Sprache.
Johannes Westermann war 1523 als Doktor der Theologie nach Lippstadt zurückgekehrt und predigte hier die neue Lehre nach Luther,
vermutlich die erste reformatorische Predigt in Westfalen.
Westermann hatte so großen Zulauf, dass er von der Brüderkirche in die größere Marienkirche ausweichen musste.
Die von ihm gehaltenen Fastenpredigten wurden 1524 als Buch gedruckt, der „Lippstädter Katechismus“.
Damit wurde Lippstadt womöglich zu einem der ersten Druckerei-Standorte in Westfalen.
Der Lippstädter Katechismus war das erste evangelische Buch Westfalens und das erste deutschsprachige Lehrbuch.
Es erschien auf mittelniederdeutsch, damit es hier jeder verstehen konnte.
Die Veränderungen in der Lippstädter Bürgerschaft blieben dem Kölner Erzbischof nicht verborgen, der deshalb 1526 einen Gegen-Prediger nach Lippstadt schickte.
Dennoch stellten die Lippstädter 1530 den protestantischen Prediger Gerhard Oemeken aus Lübeck ein, damit er eine neue Kirchenordnung erarbeitet.
„Er kämpfte mit äußerster Entschiedenheit, Aggressivität und Kompromisslosigkeit. Die Obrigkeiten in Stadt und Land fürchteten ihn,
weil überall, wo er auftrat, das politische und soziale Gefüge ins Wanken geriet und Aufruhr und Streit entstanden, eine Wirkung, die Oemeken zweifellos beabsichtigte.“
Zeitgleich begehrten die Lippstädter Zünfte auf, dass sie mehr Mitspracherecht im Stadtregiment bekommen wollten.
Im Februar 1531 begannen die Zünfte gemeinsam mit den Anhängern der lutherischen Lehre einen Aufstand, bei dem sie die Magistrate der Stadt vertrieben und einen neuen Rat bildeten.
Damit war Lippstadt nach Minden die zweite westfälische Stadt, die protestantisch wurde.
Am 20. August 1531 wurde der erste Gottesdienst in deutscher Sprache in Lippstadt abgehalten.
Die Soester waren erst im Dezember soweit, nachdem sie in einem Bürgeraufstand ihren altgläubigen Bürgermeister einsperrten
und ihn zwangen die Pfarrer ihrer 6 Kirchen gegen reformatorische Prediger auszutauschen.
Bezüglich Lippstadt bildeten sich klare Fronten: Auf der einen Seite formierten sich Lippstadts beide Landesherren Lippe und Kleve (geteilte Herrschaft),
die ihre Rechte in der Stadt wieder stärken wollten, und auf der anderen Seite positionierten sich die Lippstädter Bürger mit ihrem Rat, die ihre Unabhängigkeit durchsetzen wollten.
Als sich Lippstadt allen Aufforderungen der Landesherren widersetzte, den protestantischen Prediger Oemeken zu entlassen,
verhingen die Landesherren Ende 1531 die totale Verkehrs- und Handelssperre über Lippstadt.
Die Handelssperre brachte der Stadt einen empfindlichen wirtschaftlichen Schaden.
Anfang 1533 mussten die Lippstädter dem Druck nachgeben und entließen ihre protestantischen Prediger.
Johannes Westermann ging nach Hofgeismar, wo er 1542 starb.
Auch die politische Autonomie des Lippstädter Rates ging verloren. Im Gegenzug wurde die Handelssperre aufgehoben.
Außerdem musste sich Lippstadt verpflichten die kirchlichen Neuerungen zurückzunehmen.
Eingezogenes Kirchengut musste zurückgegeben und altgläubige Prediger eingestellt werden,
die das Abendmahl in herkömmlicher Weise ausgaben, aber die Messe durfte weiterhin auf deutsch gehalten werden.
Das Augustiner-Eremiten-Kloster an der Brüderkirche wurde 1542 aufgelöst, das Gebäude fiel der Stadt zu und wurde als Lagerhaus genutzt.
Trotz des politischen und reformatorischen Rückschlags, wurden in den folgenden Jahrzehnten unter dem Druck der evangelischen Bevölkerungsmehrheit
die Altgläubigen und ihre Einrichtungen schrittweise zurückgedrängt.
Da sich in den Folgejahren auch beide Landesherren der Reformation zuwandten, blieben die Lippstädter Bürger auch nach dem Augsburger Religionsfrieden (1555) protestantisch.
Nach der Reformation hatten die Katholiken in Lippstadt im Prinzip keine eigenes Kirchengebäude mehr.
Doch 1526 hatte das katholische Kloster St. Annen-Rosengarten (an der Klosterstraße) eine kleine Kirche angebaut, wo nun vor allem durch den Zuzug aus dem Umland eine neue katholische Gemeinde wuchs.
Ein Beispiel für die Gegenreformation ist der Lippstädter Caspar Ulenberg (1549-1617),
der hier in eine evangelischen Familie geboren wurde, der aber später im katholischen Köln zur katholischen Kirche konvertierte.
1614 wurde Caspar Ulenberg vom Kölner Erzbischof beauftragt eine deutsche Übersetzung der katholischen, lateinischen Bibel anzufertigen.
Ulenbergs Bibel sollte das neue katholische Standardwerk werden, quasi als Konkurrenzprodukt zu Luthers Bibel.
Allerdings erschien Ulenbergs Bibel wegen des Dreißigjährigen Kriegs erst 1630 und wurde dann kein Renner mehr.
In Lippstadt blieb St.-Annen-Rosengarten die einzige katholische Gemeinde in Lippstadt - bis 1807 gemäß dem römischen Staatskirchenvertrag
von Napoléon auch nebenan die Nicolaikirche wieder katholisch werden musste (am 19. Mai 1807).
Das Kloster St.-Annen-Rosengarten wurde 1813/1815 aufgehoben und das Schwesternhaus und die Kirche wurden abgerissen.
So war dann die Nicolaikirche die einzige katholische Kirche in Lippstadt, bis 1901/1902 im Süden die Josefskirche gebaut wurde.
Abschließend ist noch der gebürtige Lippstädter Martin Niemöller (1892-1984) zu nennen, der nach dem Zweiten Weltkrieg
die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mitbegründete, quasi ein Dachverband für 20 eigenständige reformierte Kirchen in Deutschland.
Text: Jörg Rosenthal.
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