• | 1895 wurde an der Hospitalstraße in Lippstadt eine Fabrik gebaut, in der Laternen für Kutschen hergestellt wurden. |
• | 1906 wurde hier der Autoscheinwerfer erfunden. |
• | 1911 baute die WMI eine größere Fabrik an der Lüningstraße (Werk I). |
• | 1958 übernahm die WMI die Gebäude einer Fabrik an der Beckumer Straße (Werk II). |
• | ↓ Übernahmen
2022 wurde Hella von der französischen FORVIA-Gruppe übernommen. 2024 soll BHTC an AUO aus Taiwan verkauft werden. |
Ehemalige Lampenfabrik, Hospitalstraße, 1895/1899 |
Villa, Blumenstraße, 1899 |
Gründer Sally Windmüller (sitzend) |
Erstes Auto in Lippstadt, 1900 |
1852 betrieb ein junges Ehepaar namens Windmüller an der Blumenstraße eine Viehfutter-Handlung. Herr Windmüller stammte aus aus Beckum, seine Frau aus Werther bei Gütersloh.
Historisch gehören die jüdischen Windmüllers zu den ältesten bürgerlichen Familien Westfalens, deren Name seit dem 13. Jahrhundert überliefert ist.
Das frisch verheiratete Paar in Lippstadt baute sich hier mit dem Futtermittelhandel eine gemeinsame Existenz auf.
Sie sind die Eltern ihres Sohnes Sally, über den dieser Text erzählt.
Ein Viehfutter-Handel war damals vermutlich nichts besonderes. Die Statistik für den Kreis Lippstadt von 1835 zeigt, dass es im Kreis doppelt so viel Vieh wie Einwohner gab, insbesondere Schafe, Schweine und Kühe. Zudem gab es ca. 4.000 Pferde im Kreis, d.h. durchschnittlich ein Pferd je 7 Einwohner. Mit Futtermittel wird hauptsächlich Heu gemeint gewesen sein. Und obwohl die Windmüllers noch zusätzlich Kohlen verkauften, lag ihr Einkommen unter dem Durchschnitt der Kaufleute.
Windmüllers bekamen 8 Kinder, die alle in Lippstadt geboren wurden, darunter die erstgeborene Tochter Tina (*1853) und Sally als ältester Sohn (*1858).
Sally taucht jedoch nicht in der Schülerliste der Ostendorf-Realschule auf - vielleicht konnte sich die Familie das Schulgeld nicht leisten.
Es gab aber noch eine Elementarschule in der Synagoge.
Als Vater Windmüller 1877 in Lippstadt starb, hinterließ er seine Frau mit 7 noch unmündigen Kindern.
Sally war damals 18 Jahre alt und musste als ältester Sohn die Futtermittelhandlung weiterführen.
Weil er aber noch nicht volljährig war (früher erst mit 21) liefen die Geschäfte unter dem Namen der Mutter „Hanna Windmüller, Witwe“.
11 Jahre nach dem Tod des Vaters sind im Futtermittelgeschäft vier Angestellte verzeichnet. Zu der Zeit heiraten nach und nach 6 Geschwister von Sally, denen er Aussteuer und Abfindung zahlen muss. Deshalb musste er drei Grundstücke mit Geld beleihen, u.a. an der Hospitalstraße. Unklar ist, ob sein Vater das Futtermittelgeschäft vielleicht auch schon an der Hospitalstraße betrieben hatte.
1891 heiraten Sally Windmüller und Helene Sternberg aus gutem Hause in Lippstadt. Helene war hübsch und wohlerzogen.
Helenes Eltern hatten sich aus ärmlichen Verhältnissen hochgearbeitet und hatten ihren beiden Töchtern den Besuch der Höheren Töchterschule und eines vornehmen Pensionats ermöglicht.
Helene bekam mit ihrem Mann Sally drei Töchter, jedoch starb eine Tochter schon im ersten Jahr.
In Windmüllers Geschäft führte eine Besonderheit zu einer unvorhersehbar positiven Entwicklung: Der Futtermittelhandel besaß mehrere Pferdewagen, um das Heu der Bauern einzufahren und auch auszuliefern. Sally beschäftigte Schmiede und Schlosser, eigentlich um seine eigenen Wagen und Pferdegeschirre zu reparieren. Doch mit dem Verkauf von Beschlägen und Kutschenzubehör aus eigener Herstellung konnten die Windmüllers bald besser Geld verdienen als mit dem Heu.
1895 bot sich eine zusätzliche Gelegenheit: In Neheim, wo es mehrere Laternen-Hersteller gab, war eine Fabrik Pleite gegangen und deren Produktionsmaschinen standen zum Verkauf. Da griff Sally zu. Er ließ hier an der Hospitalstraße auf dem Platz seiner bisherigen Heu-Scheune eine Fabrikhalle bauen, übernahm die Maschinen aus Neheim, und holte auch 30 eingearbeitete Fachkräfte aus Neheim nach Lippstadt. Die Errichtung der neuen Lampenfabrik wird im September 1895 in der Lippstädter Zeitung veröffentlicht. Sallys Firma lief weiterhin auf den Namen seiner Mutter, aber alle Unterlagen tragen Sallys Unterschrift.
Hergestellt werden Kerzen- und Öl-Laternen für Kutschen und Fahrräder. Zwar war neun Jahre zuvor das Auto erfunden worden, aber weil Autos anfangs unerschwinglich teuer waren, gab es in Lippstadt bis 1900 noch keine Autos. So blieb es hier erst mal bei der Produktion von Laternen für Kutschen.
Jedes Jahr wuchs die Anzahl der Beschäftigten in Windmüllers Lampenbude um durchschnittlich 20 Mitarbeiter an. 1899 beschäftigt die Fabrik schon 122 Arbeiter. Um weiteres Wachstum finanzieren zu können, holte Windmüller Investoren in seine Firma und wandelte die Firma dazu in eine Aktiengesellschaft um - eine damals noch recht neue Unternehmensform. So entstand 1899 die Westfälische Metall-Industrie Aktiengesellschaft (WMI AG) mit Sitz an der Hospitalstraße. Neben auswärtigen Investoren gehörten auch Lippstädter zu den Anlegern: Brennereibesitzer Kisker, Wollfabrikant Abel, und Privatbank-Inhaber Rosenbaum.
Das Ehepaar Sally und Helene Windmüller ließ sich nun ein eigenes, vornehmes Haus bauen, neben Sallys Elternhaus an der Blumenstraße Ecke Cappelstraße.
Und um 1900 wurde Windmüller zum ersten Autobesitzer Lippstadts. Er nutzte das Auto als Vorführwagen für seine Lampen.
Windmüller fuhr damit sogar bis nach Paris, zur Weltausstellung, für die 1889 der Eiffelturm gebaut worden war.
1900 wurde dort z.B. Rudolf Diesel für seinen (stationären) Diesel-Motor ausgezeichnet, außerdem
wurde der Lohner-Porsche ausgezeichnet - das erste Elektroauto mit Frontantrieb (anschließend als erstes Allradfahrzeug).
Um 1900 warb Windmüller 40 Musikinstrumentenbauer an, von einer Fachschule in Thüringen, um Ballhupen mit verschiedenen Klängen zu entwerfen. Sie wurden in Lippstadt zunächst im Gasthof Hesse einquartiert. Einer von ihnen hieß Hans Zuber. Sein Enkel wird ein Geschäft für Musikinstrumente an der Brüderstraße haben.
1904 führte Renault hydraulische Stoßdämpfer ein und OSRAM entwickelte 1905 einen Glühfaden aus Wolfram, der den Erschütterungen am Auto standhielt. Diese Entwicklungen führten dazu, dass Wachs- und Öl-Laternen durch elektrische Batterie-Lampen abgelöst werden konnten. 1908 brachte die WMI ebenfalls elektrische Lampen heraus, aber zum Verkaufsschlager wurde stattdessen eine bewährte Acetylen-Gas-Lampe, die eine Neuheit enthielt ...
Das Besondere war die doppelte Leuchtweite. Dies wurde wegen der zunehmenden Fahrzeuggeschwindigkeit erforderlich.
Auch bisherige Laternen enthielten schon einen Reflektor, aber neu war die Kombination mit einer optischen Glaslinse, die den Schein zusätzlich bündelte und fokusierte.
Somit war 1906/1908 in Lippstadt der Autoscheinwerfer erfunden worden.
Der Produktname für die derart verbesserte Gas-Laterne der WMI lautete „System Hella“.
Die wahrscheinlichste Erklärung für den Namen ist der Vorname von Sallys Frau Helene, Kurzform Hella, mit gleichzeitiger Assoziation mit dem Wort „heller“.
Durch den Verkaufserfolg des Scheinwerfers „Hella“ wurde bald eine größere Produktion nötig. An der Hospitalstraße war schon mehrfach angebaut worden, aber der Platz reichte dort nicht mehr aus. Deshalb baute die WMI 1911 eine neue Fabrik am Stadtrand, an der Lüningstraße, zwischen Rixbecker und Esbecker Straße. Noch im gleichen Jahr ließen sich die Windmüllers eine neue Villa an der Esbecker Straße bauen, wieder mit Blick auf die eigene Fabrik. Sally war zu dem Zeitpunkt bereits 53 Jahre alt.
Ab 1914 konnte die WMI eine komplett elektrische Autobeleuchtung anbieten: mit einem Dynamo, einem Akku und einer Schalttafel, um die Scheinwerfer, Rücklichter, Seitenlampen, Nummernschildbeleuchtung und eine Deckenlampe einschalten zu können. Zudem wurde sogar schon Abbiegelicht angeboten. Aber wegen des hohen Preises der elektrischen Anlage wurden bis nach dem Ersten Weltkrieg weiterhin hauptsächlich Gas-Scheinwerfer verkauft.
Im Ersten Weltkrieg wurde die Produktion der WMI überraschend schnell auf Handwaffen und Munition umgestellt. Der Umsatz der Firma hat sich dadurch sogar vervierfacht und der Gewinn verdoppelt. 1916 erhielt Windmüller das Lippische Verdienstkreuz für die heimische Wirtschaft und kriegswichtige Rüstung. Und der Aufsichtsrat der WMI übertrug Windmüller sogar die Alleinvertretung. Dies war der geschäftliche Höhepunkt des Sally Windmüller - und nun folgt sein Fall ...
1920 kamen Gerüchte auf, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen wäre. Nach dem Krieg herrschte Materialknappheit und die WMI wollte die Lagerbestände der Artillerie-Werkstatt (heute Standort Rothe Erde) dem Staat abkaufen. Dazu sollte der Verkaufspreis über das Reichsverwertungsamt, Zweigstelle Hagen, bemessen werden. Windmüller hatte es geschafft dort seine Leute in ein Konsortium einzuschleusen, das die Preise festlegte. Dadurch wurden Preise gedrückt, Ware als minderwertig deklariert und falsche Mengenangaben gemacht.
Im Gerichtsprozess von 1921 in Paderborn wurden mit Windmüller 9 Leute angeklagt. Ganz Lippstadt war erschüttert, die Zeitungen berichteten ausführlich über jeden Prozesstag. Sally Windmüller wurde zu einem Jahr und 8 Monaten Gefängnis verurteilt, sowie zu 111.000 Mark Geldbuße und dem Einzug von Gewinn in Höhe von 699.000 Mark. Damit war Windmüllers Existenz zerstört, er musste seine Häuser und seine WMI-Anteile verkaufen. Der Aufsichtsrat entband ihn von allen Positionen.
Nach der Haft zog Windmüller mit Frau und Tochter Louise in die Anonymität der Großstadt Berlin. Er war bereits 64 Jahre alt. Die WMI bot ihm noch eine Stelle als Vertreter für Ostdeutschland an, aber aus Altersgründen und aus Verärgerung gab er die Stelle bald wieder auf. Sally Windmüller starb 1930 im Alter von 72 Jahren. Seine letzte Adresse war eine Mietwohnung in Berlin-Schöneberg.
Ehefrau Helene („Hella“) zog zurück nach Lippstadt zu ihren Geschwistern, und ließ Sallys Sarg auf den Lippstädter Friedhof überführen. Ihre Tochter holte sie vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs nach Portugal, wo Helene 1954 starb.
Ihre Geschwister Oskar und Paula Sternberg wurden 1942 von Lippstadt nach Auschwitz deportiert und umgebracht. Dasselbe Schicksal erlitten Paulas Kinder Gertrud und Erich.
In diesem ↗Artikel steht, dass 120 Menschen der weitverzweigten Windmüller-Familie Opfer des Holocausts wurden.
Und schon der Gerichtsprozess von 1921 soll mit „heftigsten antisemitischen Untertönen unterlegt“ gewesen sein.
Nach Sally Windmüllers Ausscheiden aus der WMI (1921) fehlte der Firma in einer wirtschaftlich schweren Zeit eine unternehmerische Führung. Die Aktien lagen weit gestreut in vielen Händen. In dieser Situation kommt die Familie Hueck aus Lüdenscheid ins Spiel, die dort seit Generationen ein Messing-Walzwerk besitzt, Lüdenscheids größter Arbeitgeber ist, und damals selbst schon Lieferant für die WMI war. 1923 kaufte sich Familie Hueck in die Aktienmehrheit der WMI ein.
An dieser Stelle wäre es zu umfangreich die weiteren Jahrzehnte an technischer, personeller und geschäftlicher Entwicklung der WMI zu beschreiben. Erst 1986 wurde der Produktname Hella als Firmenbezeichnung übernommen.
Zum Stand nach 2010: Die Firma Hella genießt einen guten Ruf als Lieferant und wurde 2011 von Porsche als bester Zulieferer ausgezeichnet. Sie gehört zu den 100 größten deutschen Industrieunternehmen und zu den 40 größten Automobilzulieferern weltweit, hat über 30.000 Mitarbeiter in 35 Ländern.
Hella wurde auch nach dem Börsengang von 2014 noch weiter als Familienunternehmen bezeichnet, denn die Gesellschafterfamilie Hueck stellte mit rund 72% der Hella-Aktien weiterhin die größte Anteilseignergruppe dar (Stand 2015). Die Gesellschafter hatten sich verpflichtet bis 2024 insgesamt mindestens 60% der Anteile zu halten. Das Vermögen der 59-köpfigen Aktionärsfamilie, mitsamt theoretischem Wert der Hella und der Lüdenscheider Firma, wurde 2014 auf 1,7 Milliarden Euro geschätzt. Das geschätzte theoretische Vermögen war allein zwischen 2010 und 2014 kontinuierlich von 1 Milliarde auf 1,7 Milliarden Euro angewachsen. Es ist interessant, was innerhalb von 150 Jahren aus einem kleinen Futtermittelhandel alles entstehen kann.
Nach der Übernahme benannte Faurecia sich in FORVIA um (FOR wie in FORward, und VIA wie das lateinische Wort für Straße). Im März 2023 wurde das bisherige Hella-Logo an der Lagerhalle im Gewerbegebiet Erwitte durch das neue FORVIA-Logo ersetzt. Am Lippstädter Firmensitz soll das Hella-Logo von 1984 zunächst erhalten bleiben.
Neuer Campus: Im Juli 2023 wurde bekanntgegeben, dass an der Stelle von Werk I an der Steinstraße ab 2024 ein firmeneigener Campus für Forschung und Entwicklung gebaut wird. Dazu werden im Herbst 2023 die Hallen an der Steinstraße und alte Wohnhäuser an der Rixbecker Straße abgerissen. Am neuen Hella-Campus sollen zukünftig bis zu 3.000 Entwickler und Verwaltungsmitarbeiter beschäftigt werden.
Möglicherweise wird auf dem Firmengelände ein Weg eingeplant, der die Hochschule mit dem Dielenpfad (zum Klusetor) verbindet, so dass eine direkte Wegeverbindung zwischen Altstadt und Hochschule entsteht.
BHTC: Im Oktober 2023 wurde bekanntgegeben, dass die Firma Behr-Hella Thermocontrol (BHTC) an AUO aus Taiwan verkauft wird. BHTC war 1999 als Joint-Venture von Behr aus Stuttgart und Hella mit Sitz in Lippstadt gegründet worden, mit je 50% Anteilen. BHTC stellt Bedien-Elemente und Steuergeräte für die Fahrzeugklimatisierung her. Es gibt Auslandsstandorte in Finnland, Bulgarien, USA, Mexico, Indien, China und Japan, mit insgesamt 2.900 Mitarbeitern. Der Kaufpreis soll sich am Unternehmenswert von 600 Millionen Euro orientieren.• | Buch von 1988 (vergriffen): Ernst Buddeberg: „Die Westfälische Metall-Industrie Aktien-Gesellschaft Lippstadt; Von der Lampenbude zur Weltfirma“, aus der Heimatbund-Buchreihe ↗„Lippstädter Spuren“ 2/1988. |
• | Wikipedia: Hueck |
• | Hella-Geschäftsbericht 2015 und weitere Veröffentlichungen bis 2023 |