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Zeichnung einer Hinrichtung

 
Hexenverfolgung
Anton Praetorius aus Lippstadt predigt gegen Folter

Bei den Germanen begann das neue Jahr am 1. Mai, wo man die Er­neue­rung der Vege­ta­tion und die eigene Frucht­bar­keit fei­erte. In vor­christ­li­cher Zeit soll­ten ritu­elle Liebes­akte auf den Äckern die mensch­liche Frucht­bar­keit auf den Acker­boden über­tra­gen.

In der Nacht vorher, so stellte man es sich vor, fei­er­ten die Hexen auf dem Blocks­berg (Brocken) ein gro­ßes Fest. Da die Chris­ten am 1. Mai der hei­li­gen Walburga ge­dach­ten (die Schutz­hei­lige gegen Pest, Husten und Toll­wut), wurde das Hexen­fest spä­ter Walpurgis­nacht ge­nannt.

Fraglich ist, inwiefern Hexer und Hexen früher schon ein schlech­tes Image hat­ten. Ur­sprüng­lich war Zaube­rei (Magie) etwas posi­ti­ves, näm­lich der Ver­such mit Zauber­sprüchen u.ä. das Glück auf seine Seite zu zie­hen. Z.B. waren die Merseburger Zauber­sprüche (bei Leipzig) aus dem 9. Jahr­hun­dert dafür gut, einen ver­stauch­ten Pferde­fuss zu hei­len oder um gefangen­ge­nom­mene Krieger zu be­freien.

Aber es gab auch Leute, denen etwas schlech­tes wider­fah­ren war, die dann glaub­ten, sie seien mit einem Schadens­zauber be­legt wor­den. Und dann musste natür­lich ein Schuldi­ger ge­fun­den wer­den.
Schon in der Antike stand Schadens­zaube­rei (schwarze Magie) unter Todes­strafe. Auch bei den Germa­nen gab es die Ver­bren­nung von Schadens­zauberern. Aber es war eine Sonder­straf­tat, ver­mut­lich gab es in der Antike noch keine Hyste­rie um Schadens­zauber.

Als die Germanen im Mittel­alter christia­ni­siert wur­den, ver­suchte die Kirche den alten germa­ni­schen Volks­glauben schlecht­zu­reden. Hexer und Hexen seien mit dem Teufel im Bunde. Die Kirche for­derte Denunza­tions­pflicht und über­nahm die Er­mitt­lun­gen.
In Märchen­erzählun­gen be­kam die Hexe dann die Rolle der „bösen Hexe“ und wurde stereo­typ als häß­li­che alte Frau dar­ge­stellt.

Im 15. Jahrhundert begann eine kleine Eis­zeit, mit kal­tem und nas­sem Wet­ter. Es kam zu Miss­ernten, Hungers­nöten und zu Seu­chen, zu­dem kam es zu Kriegen. Die Be­völke­rung litt - und da­mit wuchs der Aber­glaube. Für die Miss­stände wur­den in skandi­navi­schen Ländern haupt­säch­lich Männer (Hexer) ver­ant­wort­lich ge­macht, im Rest Euro­pas haupt­säch­lich Frauen.
Die Hexen­verfol­gun­gen in Europa fan­den über­wie­gend in der Frü­hen Neu­zeit statt, von 1450 bis 1750. Es wird ge­schätzt, dass es in Europa 60.000 Hexen­ver­bren­nun­gen gab, da­von 40.000 allein in Deutsch­land.

Ein fortschritt­licher Grund­satz im Rechts­system war, dass eine Ver­ur­tei­lung nur auf­grund eines Ge­ständ­nis­ses er­fol­gen konnte. Rück­stän­dig hin­ge­gen war, dass Folte­rung als Mit­tel zur Er­lan­gung eines Ge­ständ­nis­ses zuge­las­sen war.
Außerdem gab es zum Beweis ver­schie­dene Test­metho­den (die Hexen­probe), z.B. die Wasser­probe (Schwimmt sie gefes­selt oben?), Feuer­probe (Bekommt sie Brand­male?), Nadel­probe (Ist sie schmerz­empfind­lich?) oder Wiege­probe (Ist sie leich­ter als ein Ge­wicht?).

Anton Praetorius
1560 wurde in Lippstadt Anton Schulze ge­bo­ren (der sich spä­ter latei­ni­siert Antonius Praetorius nannte). Mit 13 Jahren er­lebte er in Lipp­stadt einen Hexen­prozess, bei dem Folter ange­wen­det wurde. Der Nagel-Schmied Ebert Balve und seine Schwester, eine Bäckerin, wurden erst nach langer Folter und Wider­ruf ihres Ge­ständ­nis­ses wie­der freige­las­sen.

Praetorius besuchte die Latein­schule in Lipp­stadt, stu­dierte Theolo­gie, wurde Lehrer und be­kam 1586 die Stelle als Rektor der Latein­schule in Kamen. Seine Frau stirbt nach drei Fehl­ge­bur­ten, seine zweite Frau stirbt kurz nach der Hoch­zeit an der Pest.

1596 ruft Praetorius in einem Buch die Fürsten zu einer bibel­orientier­ten Er­neu­erung von Kirche und Nation auf. Der Graf von Birstein (Hessen) be­ruft ihn zum fürst­li­chen Hof­predi­ger. 1597 for­derte die Be­völke­rung in Bir­stein einen Hexen­prozess gegen vier Frauen. Praetorius wird vom Grafen zum Mit­glied des Hexen­gerichts er­nannt. Dies be­deu­tete die Wende in seinem Leben. Er er­trug es nicht, wie unschul­dige Frauen durch die Fol­ter in den Tod ge­trie­ben wur­den.

Als Ortspfarrer wetterte er heftig gegen die Folter. „... weil der Pfarrer alhie heftig dawieder ge­wesen, als man die Weiber pei­nigte, also ist es dies­mal deß­halben unter­las­sen wor­den, da er mit großem Gestüm und Unbe­scheiden­heit vor der Tür ange­richt den Herrn [Grafen] ange­for­dert und heftig contra Torturam ge­redet.
Mittler­weile lebte nur noch eine der vier Frauen: sie wurde freige­las­sen. Dies ist der ein­zige über­lie­ferte Fall, in dem ein Geist­licher wäh­rend eines Hexen­prozes­ses die Been­digung der un­mensch­lichen Folter ver­langte - und Er­folg hatte.

Der Graf entließ Praetorius, und er musste das Land ver­las­sen. Nun ent­fachte Praetorius sei­nen litera­ri­schen Kampf gegen Hexen­wahn und unmensch­liche Folter­metho­den - in seinem Buch „Gründ­li­cher Bericht über Zaube­rey und Zauberer“ (1598). Das Werk fand in ganz Deutsch­land Be­ach­tung und er­schien in vier Auf­lagen. Das folgende Bild zeigt den Buchtitel von 1613.

Buchtitel von 1613

Praetorius war einer der ers­ten Theo­lo­gen, die sich von ihrer christ­li­chen Grund­über­zeu­gung her mit der ge­sam­ten Folter­praxis ihrer Zeit aus­ein­ander­setzten und diese recht­lich und mora­lisch ver­warfen. Schonungs­los attackiert er in seiner schlich­ten, bibel­festen Fröm­mig­keit Hexen­richter und ihre Obrig­kei­ten: „Oder denket ihr Menschen­kinder, die ihr richtet, daß ihr dem Ur­teil Gottes ent­rin­nen wer­det? - O nein, o nein, liebe Her­ren, das wird euch nicht durch­gehen“.

Anton Praetorius wurde in seinem Leben mit viel Leid und Krank­heit kon­fron­tiert. Er über­lebte eine Ver­lobte sowie drei Ehe­frauen, die ihm 11 Kinder schenk­ten, die alle früh ge­stor­ben sind.
Aber mit seinen Ver­öffent­lichun­gen trug Praetorius, als erster Kämpfer und „einem der ver­dienst­vol­len Män­ner, die der Hexen­verfol­gung mutig ent­gegen­traten“, viel dazu bei, den Hexen­prozes­sen ein Ende zu set­zen. Wegen seiner schonungs­lo­sen Kritik an der Fol­ter und den menschen­unwür­di­gen Gefäng­nis­sen sei­ner Zeit, wird er als ein frü­her Vor­läu­fer von Amnesty Inter­natio­nal be­zeich­net.

Lippstadt
1630 schrieb der Superior der Jesuiten in Lipp­stadt nach Köln, dass am Montag vor­her der Erwitter Pastor Jodocus in Lipp­stadt wegen Hexe­rei auf dem Scheiter­haufen endete. Pfarrer Jodocus legte feier­lich auf der Richt­stätte Ver­wah­rung gegen die An­klage ein. Er sei unschul­dig fünf­mal ge­fol­tert wor­den, ob­wohl er keiner­lei Geständ­nis ge­macht habe und dann zum Schei­ter­haufen verur­teilt wor­den. Dann redete er mit solcher Hal­tung ein­drucks­voll zu den Zu­schau­ern und ging mit sol­cher Stand­haftig­keit in den Tod, dass er sehr viele bis zu Tränen ge­rührt hat. Die Lipp­städter Bür­ger, die bei der Urteils­voll­streckung zu­gegen wa­ren, haben ge­sagt: „Wenn die­ser Mann die ewige Selig­keit nicht er­langt hat, dann kom­men nur We­nige in den Him­mel.“

Im gleichen Jahr (1630) sind in Lipp­stadt 23 weib­liche und 6 männ­liche Ange­klagte der Hexe­rei schul­dig ge­spro­chen wor­den und mit dem Schwert hinge­rich­tet wor­den - darun­ter zwei Jungen im Alter von 11 und 14 Jah­ren.

Der Höhepunkt der Verfolgungs­welle in Europa ließ erst ab 1650 nach. In Lipp­stadt gab es 1676 einen letz­ten Hexen­prozess ge­gen ein acht­jähri­ges Mäd­chen.
In einem symbo­li­schen Akt hat 2015 der Lipp­städ­ter Stadt­rat alle 29 in Lipp­stadt Hin­ge­rich­te­ten for­mell als unschul­dig rehabi­li­tiert. Und im Grünen Winkel gibt es den Anton-Praetorius-Weg.

Der Wikipedialetzte Hexenprozess auf deut­schem Boden wurde 1775 in Kempten ge­führt. 1792 wurde in Posen (Polen) die letzte Hexe auf euro­päi­schem Boden hin­ge­rich­tet. In Ent­wick­lungs­ländern gab es je­doch auch noch im 20. Jahr­hun­dert Hinrich­tun­gen von angeb­li­chen Hexen.

Text/Zusammenfassung: Jörg Rosenthal.
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Quellen:
• kulturkreiskamen.de über Antonius Praetorius
• WikipediaHexenverfolgung
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