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Foto
Der kleine Park nach dem Tornado am 20.05.2022


 
Die alte Blutbuche im Postpark
Rote Blätter durch Gen-Defekt

Auf dem obigen Foto ist die Blut­buche nur im Hinter­grund zu sehen. Interes­sant ist der Zeit­punkt der Auf­nahme im Mai, denn während alle anderen Bäume im Mai erwar­tungs­gemäß grün sind, trägt die Blut­buche ein rotes Blätter­kleid.

Die große Buche im Postpark ist Lipp­stadts ältes­ter le­bender Baum und ist von der Wind­hose am 20.05.2022 ver­schont ge­blie­ben.
Die ca. 230 Jahre alte Buche ist eine von 13 denkmal­ge­schütz­ten Bäumen (Natur­denk­mäler) in Lipp­stadt und Orts­teilen.

Übrigens, bis 1973 war die Buche im Post­park "nur" der zweit­äl­tes­te Baum Lipp­stadts, denn bis dahin trug eine wei­tere Blut­buche zwi­schen Markt­straße und Mühlen­straße den Titel als äl­tes­ter Baum der Stadt. Doch jene Buche stand einem priva­ten Bau­vorha­ben im Wege. Die Poli­tik wollte die Buche noch schnell unter Schutz stel­len, aber die Motor­säge war schnel­ler. Am Sams­tag, den 15.12.1973, als keine Behör­den zu er­rei­chen wa­ren, schlug der Grund­stücks­eigen­tümer bzw. eine beauf­tragte Firma zu und schaffte voll­endete Tat­sachen. Der Quer­schnitt des Holzes die­ses ältes­ten Baums zeigte, dass die ge­fällte Buche noch kern­gesund war.

Oft hört man, dass der Baum im Postpark etwas beson­deres ist, weil er eine "Rot"­buche ist - weil seine Blätter im Früh­jahr rot anstatt grün sind.
Das Wort "Rot­buche" klingt zu­nächst lo­gisch, ist aber unbe­absich­tigt un­präzise. Denn quasi alle Buchen in Deutsch­land sind Rot­buchen. Diesen Namen haben sie wegen des roten Holzes. Doch die Blätter der Rot­buchen sind normaler­weise grün.
Da aber unsere große Buche im Post­park nicht nur rotes Holz, son­dern unge­wöhn­licher­weise auch rote Blät­ter hat (zu­mindest im Früh­sommer), ge­hört sie zu den sel­tenen Blut­buchen, eine Muta­tion der Rot­buche.

Warum die Blätter von Blut­buchen zu­nächst rot und im Herbst grün sind, und wo die Baum­art her­kommt ...

120 km östlich von Kassel, nörd­lich von Erfurt, liegt Sonders­hausen (↗Karte). Dort im Possen­wald bei Sonders­hausen gab es ver­mut­lich um das Jahr 1680 eine ein­malige Muta­tion bei einer Buch­ecker.
Zumin­dest fiel im 18. Jahr­hundert auf, dass im Possen­wald ein Baum steht, der rote an­statt grüner Blät­ter trägt. Dies ist die Ur-Blut­buche, die die Mutter aller heu­tigen Blut­buchen welt­weit ist.

1823 wurden Versuche unter­nom­men, die Blut­buche durch Aus­sat zu ver­mehren. Doch durch die Fremd­bestäu­bung von anderen, nor­malen Buchen ver­ringert sich der Rot­anteil beträcht­lich.
Deshalb hat man Pfropf­reiser der Ur-Blut­buche ver­wendet, d.h. ihr Zweige (Edel­reis) wurden auf Unter­lagen ge­pfropft, also in den Stamm einer normalen Buche.
Dadurch konnte die Ursprungs­pflanze ver­mehrt werden. Bis 1837 hatte man auf diese Weise 60 Blut­buchen ge­zogen. Die jungen, sonder­lichen Blut­buchen waren offen­bar be­gehrt, denn "es gelang nicht, sie vor Ent­wendung zu schützen".
Später sind auf legalem Wege sehr viele junge Blut­buchen­pflanzen, Pfropf­reiser und Bucheln [Buch­eckern] des Stamm­baumes auch nach Eng­land, Frank­reich und Nord­amerika ab­ge­geben worden.

Wenn die Lippstädter Blutbuche ca. 230 Jahre alt ist, müsste Sie unge­fähr aus dem Jahr 1790 stammen. Dann wäre sie aller­dings älter als die o.g. Pfropf­reiser-Versuche. Entweder ist unser Baum ein frühe­rer Ab­kömm­ling (gut möglich) oder die Alters­angabe stimmt nicht ganz, dazu nach­her mehr. Warum dieses Exem­plar im Post­park steht, schreibe ich am Ende des Textes.

Heutzutage ist biologisch erklär­bar, woher die rote Färbung kommt. Viele Pflanzen produ­zieren in ihren Knospen einen roten Farb­stoff (Anthocyan), der die empfind­lichen Knopsen vor schäd­licher UV-Strahlung schützt. Es ist der gleiche Farb­stoff, der auch Beeren eine rote oder rot-blaue Farbe gibt.
Sobald die Blätter wachsen, müssen die roten Sonnen­schutz-Pigmente wieder ab­ge­baut werden, damit sie der Photo­synthese nicht das Licht weg­nehmen. Dazu produ­zieren Pflanzen ein Enzym, das die roten Pig­mente wieder zer­setzt.
Und mit genau diesem Enzym scheint bei der Blut­buche etwas nicht richtig zu funk­tio­nieren. Es ist also ein Gen­defekt, der zu­fällig äußer­lich gut er­kenn­bar wird. Ohne die Enzyme bleiben die roten Pig­mente er­halten, liegen in der oberen Blatt­schicht und über­decken das grüne Chloro­phyll in der tie­feren Ebene.

Dass die Blutbuche oder auch der rote japa­nische Ahorn trotz­dem wachsen können, liegt daran, dass die roten Pig­mente nicht alles Licht absor­bieren, sondern nur die blauen und grünen Licht­anteile (Rot bleibt übrig).
Der grüne Anteil wäre vom Chloro­phyll sowieso reflek­tiert worden (Blatt­grün). Der blaue Anteil ist zwar leider futsch, doch der nicht absor­bierte rote Licht­anteil kann zur Photo­synthese ver­wen­det werden.
Da die Photo­syn­these nun quasi nur mit hal­ber Kraft läuft, be­nötigen Blut­buchen und der rote japa­nische Ahorn ein sonni­ges Plätz­chen.

Im Laufe des Sommers reichert sich immer mehr Chloro­phyll in den Blät­tern an, wes­halb die Blät­ter dunkler werden. Bei norma­len Pflan­zen er­gibt es ein Dunkel­grün, bei der Blut­buche er­scheint es uns wie ein Dunkel­rot, da die roten Pigmente an der Blatt­ober­fläche die promi­nen­tere Posi­tion haben.
Doch im Laufe des Sommers ver­lieren sich die roten Farb­stoffe. Ich kann nur laien­haft ver­muten, dass sie durch die lange UV-Be­strahlung lang­sam zer­fal­len. Zum Ende des Sommers haben Blut­buchen dann doch ein grünes Blät­ter­kleid und sind von norma­len Rot­buchen nicht mehr unter­scheid­bar.


Warum steht eine Blutbuche im Postpark?

Bis in die 1950er Jahre stand an der Stelle des heu­tigen Park­platzes ein schönes Patrizier­haus, das 1803 vom Post­meister Kellerhaus ge­baut wor­den war und 1823 vom Kauf­mann August Kleine er­wor­ben wurde.
Zum Haus ge­hör­ten zwei große Stal­lungen, eine Scheune und ein sehr schöner Garten, der mit einer Mauer ein­ge­fasst war. Auf diesem Ge­lände ist der heu­tige Post­park.
Zu der Blut­buche habe ich keine wei­teren Infor­ma­tionen, somit kann ich nur ver­muten, dass der Post­meister oder der Kauf­mann die Möglich­keit hatte, eine der beson­deren Blut­buchen zu er­werben und sie dann als Zier­baum in seinen pri­vaten Garten ge­pflanzt hat.

Da das Haus überhaupt erst 1803 ge­baut wor­den war, müsste die Blut­buche bei der Pflan­zung schon 13 Jahre alt ge­we­sen sein, wenn sie jetzt 230 Jahre ist. Ich weiß nicht woher die Alters­angabe stammt. Ich könn­te mir auch vor­stel­len, dass die Buche "erst" 200 Jah­re alt ist, denn im Jahr 1823 wurde in Sonders­hausen mit der Ver­meh­rung be­gon­nen und es ist zu­gleich das Jahr, in dem August Kleine das Haus mit Garten kauf­te. Vielleicht hat­te erst der zweite Be­sitzer den Setz­ling ge­pflanzt?

Auf jeden Fall sind Alter, Größe und Blatt­farbe des Baumes außer­ge­wöhn­lich - und die Lipp­städ­ter haben Glück ge­habt, dass der Baum bis­her alle Stürme un­be­scha­det über­standen hat.


Der Park an der Poststraße wurde 2011 um­ge­stal­tet. Der dortige Kinder­spiel­platz bekam 2017 eine ↗Wasser­spiel­anlage von den Stadt­werken. Finan­zielle Unter­stützung kam 2017 auch vom Verein ↗Für unsere Kinder e.V. und vom Verein ISG ↗Immo­bilien- und Standort­gemein­schaft West­liche Alt­stadt e.V. für ein Trampo­lin. Die bei­den Relax-Liegen, die im April 2023 im Post­park auf­ge­stellt wur­den, wur­den eben­falls vom ISG mit 8.000 Euro finan­ziert.


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Eine von zwei neuen Relax-Liegen im Postpark im April 2023


Abschließend nochmal zum Baum-Thema:
Im Kreis Soest gibt es 202 Natur­denk­mäler. Der äl­tes­te Baum im Kreis Soest ist eine ↗Linde in Welver-Nateln, die schon unge­fähr 800 Jah­re alt sein soll.

In Deutschland gibt es nur wenige Bäume mit einem Alter von über 1.000 Jah­ren. Fast ein Drit­tel der Fläche Deutsch­lands ist von Wald be­deckt, mit über 90 Mil­li­ar­den Bäu­men. Der äl­teste Baum Deutsch­lands soll die 1.200-jäh­rige ↗Linde in Schenk­lengs­feld (Hessen) sein.

Text: Jörg Rosenthal.
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