Zurück  •  Startseite  •  Impressum & Datenschutz

Der kleine Park nach dem Tornado am 20.05.2022


 
Die alte Blutbuche im Postpark
Rote Blätter durch Gen-Defekt

Auf dem obigen Foto ist die Blut­buche nur im Hinter­grund zu sehen. Interes­sant ist der Zeit­punkt der Auf­nahme im Mai, denn während alle anderen Bäume im Mai erwar­tungs­gemäß grün sind, trägt die Blut­buche ein rotes Blätter­kleid.

Die große Buche im Postpark ist Lipp­stadts ältester lebender Baum und ist von der Wind­hose am 20.05.2022 ver­schont ge­blie­ben.
Die ca. 230 Jahre alte Buche ist eine von 13 denkmal­ge­schützten Bäumen (Natur­denkmäler) in Lipp­stadt und Orts­teilen.

Oft hört man, dass der Baum etwas beson­deres ist, weil er eine "Rot"­buche ist - weil seine Blätter im Früh­jahr rot anstatt grün sind.
Das Wort "Rot­buche" klingt zu­nächst lo­gisch, ist aber unbe­absich­tigt un­präzise. Denn quasi alle Buchen in Deutsch­land sind Rot­buchen. Diesen Namen haben sie wegen des roten Holzes. Doch die Blätter der Rot­buchen sind normaler­weise grün.
Da aber unsere große Buche im Post­park nicht nur rotes Holz, son­dern unge­wöhn­licher­weise auch rote Blätter hat (zu­mindest im Früh­sommer), ge­hört sie zu den sel­tenen Blut­buchen, eine Muta­tion der Rot­buche.

Warum die Blätter von Blut­buchen zu­nächst rot und im Herbst grün sind, und wo die Baum­art her­kommt ...

120 km östlich von Kassel, nörd­lich von Erfurt, liegt Sonders­hausen (Karte). Dort im Possen­wald bei Sonders­hausen gab es ver­mut­lich um das Jahr 1680 eine ein­malige Muta­tion bei einer Buch­ecker.
Zumin­dest fiel im 18. Jahr­hundert auf, dass im Possen­wald ein Baum steht, der rote an­statt grüne Blätter trägt. Dies ist die Ur-Blut­buche, die die Mutter aller heu­tigen Blut­buchen welt­weit ist.

1823 wurden Versuche unter­nom­men, die Blut­buche durch Aus­sat zu ver­mehren. Doch durch die Fremd­bestäu­bung von anderen, nor­malen Buchen ver­ringert sich der Rot­anteil beträcht­lich.
Deshalb hat man Pfropf­reiser der Ur-Blut­buche ver­wendet, d.h. ihr Zweige (Edel­reis) wurden auf Unter­lagen ge­pfropft, also in den Stamm einer normalen Buche.
Dadurch konnte die Ursprungs­pflanze ver­mehrt werden. Bis 1837 hatte man auf diese Weise 60 Blut­buchen ge­zogen. Die jungen, sonder­lichen Blut­buchen waren offen­bar be­gehrt, denn "es gelang nicht, sie vor Ent­wendung zu schützen".
Später sind auf legalem Wege sehr viele junge Blut­buchen­pflanzen, Pfropf­reiser und Bucheln [Buch­eckern] des Stamm­baumes auch nach Eng­land, Frank­reich und Nord­amerika ab­ge­geben worden.

Wenn die Lippstädter Blutbuche ca. 230 Jahre alt ist, müsste Sie unge­fähr aus dem Jahr 1790 stammen. Dann wäre sie aller­dings älter als die o.g. Pfropf­reiser-Versuche. Entweder ist unser Baum ein frühe­rer Ab­kömm­ling (gut möglich) oder die Alters­angabe stimmt nicht ganz, dazu nach­her mehr. Warum dieses Exem­plar im Post­park steht, schreibe ich am Ende des Textes.

Heutzutage ist biologisch erklär­bar, woher die rote Färbung kommt. Viele Pflanzen produ­zieren in ihren Knospen einen roten Farb­stoff (Anthocyan), der die empfind­lichen Knopsen vor schäd­licher UV-Strahlung schützt. Es ist der gleiche Farb­stoff, der auch Beeren eine rote oder rot-blaue Farbe gibt.
Sobald die Blätter wachsen, müssen die roten Sonnen­schutz-Pigmente wieder ab­ge­baut werden, damit sie der Photo­synthese nicht das Licht weg­nehmen. Dazu produ­zieren Pflanzen ein Enzym, das die roten Pig­mente wieder zer­setzt.
Und mit genau diesem Enzym scheint bei der Blut­buche etwas nicht richtig zu funk­tio­nieren. Es ist also ein Gen­defekt, der zu­fällig äußer­lich gut er­kenn­bar wird. Ohne die Enzyme bleiben die roten Pig­mente er­halten, liegen in der oberen Blatt­schicht und über­decken das grüne Chloro­phyll in der tie­feren Ebene.

Dass die Blutbuche oder auch der rote japa­nische Ahorn trotz­dem wachsen können, liegt daran, dass die roten Pig­mente nicht alles Licht absor­bieren, sondern nur die blauen und grünen Licht­anteile (Rot bleibt übrig).
Der grüne Anteil wäre vom Chloro­phyll sowieso reflek­tiert worden (Blatt­grün). Der blaue Anteil ist zwar leider futsch, doch der nicht absor­bierte rote Licht­anteil kann zur Photo­synthese ver­wendet werden.
Da die Photo­synthese nun quasi nur mit halber Kraft läuft, be­nötigen Blut­buchen und der rote japa­nische Ahorn ein sonniges Plätz­chen.

Im Laufe des Sommers reichert sich immer mehr Chloro­phyll in den Blät­tern an, wes­halb die Blät­ter dunkler werden. Bei normalen Pflanzen ergibt es ein Dunkel­grün, bei der Blut­buche er­scheint es uns wie ein Dunkel­rot, da die roten Pigmente an der Blatt­ober­fläche die promi­nentere Posi­tion haben.
Doch im Laufe des Sommers ver­lieren sich die roten Farb­stoffe. Ich kann nur laien­haft ver­muten, dass sie durch die lange UV-Be­strahlung lang­sam zer­fallen. Zum Ende des Sommers haben Blut­buchen dann doch ein grünes Blätter­kleid und sind von normalen Rot­buchen nicht mehr unter­scheid­bar.

Warum steht eine Blutbuche im Postpark?
Bis in die 1950er Jahre stand an der Stelle des heu­tigen Park­platzes ein schönes Patrizier­haus, das 1803 vom Post­meister Kellerhaus ge­baut worden war und 1823 vom Kauf­mann August Kleine er­worben wurde.
Zum Haus ge­hörten zwei große Stal­lungen, eine Scheune und ein sehr schöner Garten, der mit einer Mauer ein­ge­fasst war. Auf diesem Bereich ist der heu­tige Post­park.
Zu der Blut­buche habe ich keine weiteren Infor­ma­tionen, somit kann ich nur ver­muten, dass der Post­meister oder der Kauf­mann die Möglich­keit hatte, eine der besonderen Blut­buchen zu er­werben und sie dann als Zier­baum in seinen pri­vaten Garten ge­pflanzt hat.

Da das Haus überhaupt erst 1803 ge­baut worden war, müsste die Blut­buche bei Pflanzung schon 13 Jahre alt ge­wesen sein, wenn sie jetzt 230 Jahre ist. Ich weiß nicht woher die Alters­angabe stammt. Ich könnte mir auch vor­stellen, dass die Buche "erst" 200 Jahre alt ist, denn im Jahr 1823 wurde in Sonders­hausen mit der Ver­mehrung be­gonnen und es ist zu­gleich das Jahr, in dem August Kleine das Haus mit Garten kaufte. Vielleicht hatte erst der zweite Besitzer den Setz­ling ge­pflanzt?

Auf jeden Fall sind Alter, Größe und Blatt­farbe des Baumes außer­ge­wöhn­lich - und die Lipp­städter haben Glück ge­habt, dass der Baum bis­her alle Stürme un­be­schadet über­standen hat.

Text: Jörg Rosenthal.
Bitte Kritik, Vorschläge u.ä. per E-Mail einsenden.
Zurück  •  nach oben  •  Startseite